Die Gauklerin by Astrid Fritz

Die Gauklerin by Astrid Fritz

Autor:Astrid Fritz [Fritz, Astrid]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Belletristik/Historische Romane, Erzählungen
Herausgeber: ROWOHLT
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Voller Unruhe schritt Marthe-Marie im Zimmer auf und ab.

«Wo der Junge nur bleibt?»

«Mutter! David wird bald zwölf, er ist kein Kleinkind mehr. Außerdem kommt er nach der Schule nie ohne Umwege nach Hause, du kennst ihn doch inzwischen.»

«Du hast ja Recht.» Sie setzte sich auf den Bettrand. «Was bin ich wieder müde. Wie ein kreuzlahmer Gaul.»

Agnes betrachtete ihre Mutter. Wie alt sie geworden war in den letzten Jahren. Doch dass Marthe-Marie sich oftmals so abgeschlafft, so ausgelaugt fühlte, konnte kaum an der täglichen Arbeit liegen; da hatte sie in ihrem Leben schon anderes mitgemacht. Prinzessin Antonia hatte damals ihr Versprechen wahr gemacht und veranlasst, dass ihre Mutter bei ihr einziehen durfte, bei freier Kost und Logis. Allerdings war vom Frauenzimmerhofmeister verfügt worden, sie müsse dafür den anderen Kammermägden zur Hand gehen. Es sei ohnehin zu wenig Personal im Schloss.

Zweieinhalb Jahre war das nun schon her. Verbittert und verstört war ihre Mutter hier angekommen, ohne Lebensfreude, ohne jegliche Zuversicht, dass das Schicksal auch für sie eines Tages wieder eine bessere Wendung nehmen könnte. Doch David hatte geschafft, was Agnes allein niemals vermocht hätte: Ihre Mutter, seine Großmutter, hatte wieder zu lächeln gelernt. Marthe-Marie liebte ihren Enkelsohn inzwischen abgöttisch, und David liebte sie ebenso. Ihm erzählte sie beim Einschlafen Sachen, von denen Agnes noch nie gehört hatte, kurze, drollige oder abenteuerliche Geschichten aus der Zeit als Gauklerin. Agnes tat dann immer so, als höre sie nicht zu; sie war sich unsicher, ob ihre Mutter wollte, dass sie von all diesen Dingen erfuhr. Vielleicht aber war genau das ihre Absicht, vielleicht brachte Marthe-Marie es nicht anders über sich, ihrer Tochter etwas von sich preiszugeben. Denn Agnes’ Flucht mit Kaspar war immer noch etwas, das wie ein Fremdkörper zwischen ihnen stand, auch wenn sie ansonsten wieder zueinander gefunden hatten wie in früheren Zeiten.

«David wird gleich hier sein. Und sofort nach dem Abendessen legst du dich schlafen. Na also, ich hör ihn schon im Stiegenhaus trampeln.»

Mit verschwitztem Gesicht stürmte der Junge zur Tür herein.

«Einen Bärenhunger hab ich. Gehen wir gleich in die Küche runter?»

«Erst einmal guten Abend, mein Sohn. Und du hast schon wieder keine Mütze auf. Bei dieser Hundekälte!»

«Guten Abend.» Er drückte Agnes einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dann hockte er sich neben Marthe-Marie und schlang seine Arme um ihre Schultern. Deren Gesicht hellte sich augenblicklich auf.

«Stell dir vor, Großmutter, der Schulmeister hat gesagt, ich darf ab Sommer in die Lateinschule. Er hat gesagt, ich bin in allen Disziplinen der Beste. Außer im Rechnen.» In gespielter Scham verzog er das Gesicht.

«Das ist ja wunderbar!» Marthe-Marie zog ihn an sich.

«Du kleiner Prahlhans», sagte Agnes. «Das glaube ich erst, wenn es mir der Schulmeister selbst verkündet.»

David schob die Unterlippe vor. «Dann frag ihn doch morgen. Und das mit dem Rechnen – das ist auch nicht so wichtig.»

«So? Findest du? Da könntest du ruhig ein wenig mehr in die Fußstapfen deiner Großmutter treten.»

«Sei nicht so garstig, Agnes, und freu dich lieber. Weißt du was, David? Wir werden die nächsten Tage und Wochen einfach ein wenig rechnen üben.



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